= Begriff aus dem Kontext der Vielfalt von Sexualität, Geschlecht und Lebensmodellen und der Kritik an homosexuellenfeindlicher, sexistischer und anderer Diskriminierung. „queer“ wird sowohl als affirmative Selbstbezeichnung von einzelnen Personen und Gruppen verwendet, die sich nicht in den Systemen der Heteronormativität und/oder der Zweigeschlechtlichkeit oder anderer Normierungsordnungen verorten möchten, als auch als Bezeichnung für Sexualitäten (sexuelle Orientierung), geschlechtliche Identitäten (Gender) und Lebensmodelle jenseits eindeutiger Kategorien sowie als Kennzeichnung einer politischen Praxis, wobei diese Begriffsdimensionen auch gleichzeitig verwendet werden können (vgl. Anschütz 2011, Jagose 2005, Plötz 2014 und Tietz 2015).

Bei der Verwendung des Worts queer handelt es sich um eine (auch auf Empowerment zielende) Aneignung eines Worts mit einer homosexuellenfeindlichen Tradition. Im englischsprachigen Raum wurde es seit dem 16. Jahrhundert im Sinne von „seltsam“ oder „abnormal“ verwendet, später im Sinne von „sexuell pervers“ und schließlich zur Beleidigung homosexueller Menschen und anderen Menschen, die als abweichend von heterosexuellen Normen wahrgenommen wurden. In den 1980er Jahren begannen nordamerikanische Gruppen Schwarzer nicht-heterosexueller Menschen das Wort als Ausdruck der Wut und der Unangepasstheit zur Selbstbezeichnung zu nutzen. Weiße homosexuelle Menschen übernahmen diese Bedeutung im Kontext der AIDS-Krise, wobei die Schwarzen homosexuellen Menschen immer weiter in den Hintergrund der Kämpfe um Anerkennung gerieten. In den 1990er Jahren fand die weitere Bedeutungsverschiebung hin zu einem bewusst vage gehaltenen Begriff statt, der vielfältige Sexualitäten und Lebensweisen umfasst. Parallel zu dieser Entwicklung und im Dialog mit ihr entstand mit den „Queer Studies“ ein Forschungsfeld zu (u.a.) Fragen der Repräsentation wie auch normativer Effekte und Auseinandersetzungen. Zudem breitete sich der Begriff auch in Europa aus (vgl. Anschütz 2011, Jagose 2005 und Tietz 2015).

Die Konzeption von queer als einem offenen Begriff, der über Homosexualität hinausgeht und beispielsweise auch Trans*geschlechtlichkeit einschließen kann, ermöglicht einerseits breite Bündnisse für diskriminierungskritische und emanzipatorische Politik, hat andererseits aber auch zu Beliebigkeitsvorwürfen geführt (vgl. Jagose 2005 und Plötz 2014). Einige Gruppen homosexueller Menschen grenzen sich unter dem Hinweis auf die Spezifika ihrer Diskriminierungserfahrungen von queer ab, wobei viele in queeren Kontexten aktive Menschen betonen, dass es bei queer nicht darum gehen soll, grundlegende Unterschiede zu ignorieren, sondern die Vielschichtigkeit der Differenzen anzuerkennen (vgl. Anschütz 2011 und Jagose 2005).

Somit bilden auch Fragestellungen der Berücksichtigung von Wechselwirkungen (Intersektionalität) sexueller und geschlechtlicher Identität mit anderen Diversity-Dimensionen, wie „Ethnizität“ oder „Behinderung“ und der Reproduktion von Ausschlussmechanismen ein zentrales Feld queerer Theorie und Praxis. Beispielsweise kritisieren viele Queers of Color, dass viele von weißen Menschen dominierte queere Bewegungen rassistische Ausschlüsse reproduzieren (vgl. Anschütz 2011, Jagose 2005, Plötz 2014 und Tietz 2015).

Beispiele für queere politische Praxis bilden Aufklärungsarbeiten über sexuelle Selbstbestimmung, die Aufdeckung von Heteronormativität in öffentlichen Räumen und in der Kommunikation, z.B. in der Werbung, oder die Intervention in den Raum der schriftlichen Sprache, indem über * oder _ Schreibweisen (z.B. „Bäcker_innen“) Menschen, die sich nicht dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuordnen wollen, ein Repräsentationsraum eröffnet wird (gendersensible / gendergerechte Sprache).  

Bezüge zur Sozialen Arbeit

Aus Angst vor Diskriminierung halten viele mit ihrer sexuellen Orientierung und Identität hinterm Berg, wenn sie nicht der traditionellen Norm, der Heterosexualität entsprechen (s.o.). Fachkräfte der Sozialen Arbeit haben es somit häufig mit LGBTI-Menschen (LGBTI= lesbian, gay, bi, transgender, intersex) zu tun, ohne es zu wissen. Um Ausgrenzungen und Diskriminierungen zu verhindern, gilt es daher, stets auf eine entsprechend bewusste Kommunikation zu achten und diskriminierungsarme Sprache zu nutzen.

In Beratungssettings kann das Thema der sexuellen Orientierung sowohl in Bezug auf Personen auftauchen, die ihre sexuelle Orientierung offen leben (z.B. in Selbsthilfegruppen und Vereinen der LGBT-Community), als auch im Austausch mit Personen, die sich unsicher in Bezug auf diese sind oder nicht wissen, wie sie es schaffen können, offen mit ihrer sexuellen Orientierung umzugehen (z.B. in der Arbeit mit Heranwachsenden in der Jugendarbeit, der Schulsozialarbeit, der Freizeitpädagogik, in Heimen, etc.).

Der rechtliche Auftrag der Sozialen Arbeit, sich gegen Ausgrenzungen aufgrund sexueller Orientierung einzusetzen und diesbezüglich auch selbst keine Ungleichbehandlung zu praktizieren, ergibt sich z.B. aus §2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), den §§ 1 und 9 des SGB VIII sowie aus Artikel 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland.

Der DBSH (Deutscher Berufsverband für die Soziale Arbeit) hat entsprechende Grundprinzipien Sozialer Arbeit verabschiedet. So heißt es dort z.B.

„1. Negativer Diskriminierung entgegentreten –
Sozialarbeiter/innen haben die Pflicht, negativer Diskriminierung auf Grund von Merkmalen wie Fähigkeiten, Alter, Kultur, Geschlecht, Familienstand, sozioökonomischem Status, politischer Überzeugung, Hautfarbe, Rasse
[sic] oder anderer körperlicher Gegebenheiten, sexueller Orientierung oder spiritueller Überzeugung entgegenzutreten“ (Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit e. V. 2009).

Literatur

Anschütz, Elisabeth (2011): Queer. Eine Betrachtung der Queer Theorie mit Hilfe der Kritischen Weißseinsforschung. In: Arndt, Susan/ Ofuatey-Alazard, Nadja (Hrsg.): Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk. Münster: Unrast, S. 505-516.

Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit e. V. (2009): Grundlagen für die Arbeit des DBSH e.V. URL: http://www.dbsh.de/fileadmin/downloads/grundlagenheft_-PDF-klein_01.pdf [08.03.2017].

Jagose, Annemarie (2005): Queer Theory. Eine Einführung. Zweite Auflage. Berlin: Querverlag. 

Plötz, Andy (2014): Queer Politics. URL: http://gender-glossar.de/de/glossar/item/37-queer-politics [22.11.2016]. 

Tietz, Lüder (2015): Homosexualität, Cross-Dressing und Transgender: Heteronormativitätskritische kulturhistorische und ethnographische Analysen. Oldenburg: Institut für materielle Kultur. URL: https://www.uni-oldenburg.de/fileadmin/user_upload/materiellekultur/Studien_zur_Materiellen_Kultur/Band16_Tietz_Diss_Homosexualitaet_2015.pdf [02.11.2016].

weiterführende Literatur

Pohlkamp, Ines (2014): Queer-feministische Mädchen_arbeit als normativitätskritische Pädagogik. In: Kauffenstein, Evelyn/ Vollmer-Schubert, Brigitte: Mädchenarbeit im Wandel. Bleibt alles anders? Weinheim: Beltz Juventa, S. 145–168.

Schütte-Bäumner, Christian (2007): Que(e)r durch die Soziale Arbeit. Professionelle Praxis in den AIDS-Hilfen. Bielefeld: transcript.

Leuphana Universität Lüneburg / Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik / Projekt "KomPädenZ Potenzial" 2017


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