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= Versuch oder ideologisches Schema, soziale und kulturelle Phänomene, (->) Differenzen und Prozesse über biologische Kategorien oder Theorien zu erklären (vgl. Allen 1995 und Cameron 2010).

Biologismen bilden u.a. einen wesentlichen Bestandteil vieler Formen des (->) Rassismus und (->) Sexismus sowie einiger Diskurse über Angehörige von in einem hierarchischen Gesellschaftsgefüge benachteiligten sozialen (->) Klassen oder (->) Schichten.

In all diesen Anwendungen des Biologismus spielt der Rechtfertigungsgedanke für Praktiken, die sich auf Unterschiede zwischen Menschen oder Menschengruppen beziehen und sie als Anhaltspunkte für (->) Diskriminierungen oder (->) Ausgrenzungen nutzen, eine zentrale Rolle. Eine Darstellung der Unterschiede als „naturgegeben“ impliziert auch, dass sie nur schwierig oder unmöglich verändert werden können. Praktiken, die auf eine Veränderung zielen und beispielsweise gegen Diskriminierung und für (->) Emanzipation eintreten, sehen sich dann möglicherweise rasch Diskreditierungsversuchen ausgesetzt (vgl. Allen 1995).

Zumindest in Formen des Rassismus und Sexismus ist für eine biologistische Argumentation typisch, von relativ einfach wahrnehmbaren äußerlichen körperlichen Unterschieden zwischen Menschen darauf zu schließen, dass es auch beispielsweise mentale, psychische und verhaltensbezogene Unterschiede geben muss, die gleichermaßen über eine biologische Grundlage verfügen. In der Geschichte der „westlichen“ Wissenschaften äußerte sich diese Haltung auch darin, dass beispielsweise viele ethnologische oder geschlechtsbezogene Forschungen bereits durch die „Brille“ der Suche nach fundamentalen Unterschieden stattfanden (vgl. Allen 1995, Cameron 2010 und Kerner 2009).

Ein weiteres historisches Beispiel liegt darin, dass im 17. und 18. Jahrhundert von Europäerinnen und Europäern biologistisch argumentiert wurde, um die Versklavung von Menschen aus Westafrika zu rechtfertigen und dabei im europäischen Diskurs vorhandene moralische oder religiöse Einwände gegen das Eigentum an Menschen abzuwehren. Im 20. Jahrhundert spielten Biologismen zunächst in der Ideologie des Nationalsozialismus eine wichtige Rolle. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte eine neue Reihe scheinbar modernisierter Formen des Biologismus ein. Dazu gehörte u.a. der sich auf den klassischen Ökonom Thomas Robert Malthus beziehende Neo-Malthusianismus, der Entwicklungskurven menschlicher Populationen mit denen von Versuchsorganismen im Labor verglich und darüber versuchte zu begründen, dass Hunger und anderes Elend beispielsweise in einigen afrikanischen Ländern das Ergebnis hoher Geburtenraten sind (und keinesfalls mit Aspekten der kapitalistischen Weltwirtschaft zusammenhängen). 1975 wurde eine „Soziobiologie“ genannte Forschungsrichtung gegründet, die versuchte, zu beweisen, dass aggressive, altruistische und andere Verhaltensweisen durch die Genetik bestimmt sind. In den 1980er Jahren wurden vor allem psychische Probleme und Kriminalität unter einer ähnlichen Perspektive betrachtet (vgl. Allen 1995 und Bierl 2011). Ein aktuelles Beispiel für die Anwendung von Biologismus im Kontext von Rassismus und einer feindlichen Haltung gegenüber Angehörigen benachteiligter Klassen und Schichten bildet Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ (vgl. Bierl 2011). Auch in der Neurobiologie und Hirnforschung haben biologistische Strömungen an Einfluss gewonnen (vgl. Cameron 2010).

Literatur

Allen, Garland E. (1995): Biologismus. In: Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus (Bd. 2). Bank – Dummheit in der Musik. Hamburg: Argument, S. 254– 257.

Bierl, Peter (2011): Der Mensch ist keine Fruchtfliege. In: Jungle World Nr. 19, 12. URL: http://jungle-world.com/artikel/2011/19/43203.html [30.11.2016].

Cameron, Deborah (2010): Sex/Gender, Language and the New Biologism. In: Applied Linguistics, 31(2), S. 173– 192.

Kerner, Ina (2009): Differenzen und Macht. Zur Anatomie von Rassismus und Sexismus. Frankfurt am Main und New York: Campus.

weiterführende Literatur / Literaturempfehlungen

Heilmeier, Josef/ Mangold, Klaus/ Marvakis, Athanasios/ Pfister, Thomas (Hrsg.) (1991): Gen-Ideologie: Biologie und Biologismus in den Sozialwissenschaften. Hamburg: Argument.

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