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= in sozialen Prozessen hergestellte und mit Bedeutung versehene sowie häufig mit Hierarchisierungen verbundene Verschiedenheit zwischen Menschen.

In solchen Prozessen werden aus den vielfältigen Merkmalen, über die sich Menschen (ggf. nur oberflächlich) voneinander unterscheiden können, einzelne herausgegriffen. Über das bloße Vorhandensein hinaus sollen sie bestimmte Bedeutungen ausdrücken. Aus der Auswahl dieser Merkmale und ihrer Setzung als bedeutsam entstehen (Differenz-)Kategorien. Diese Kategorien werden als Orientierungspunkte für das zwischenmenschliche Handeln genutzt und führen zu Gruppenbildungen, indem sie als Anhaltspunkte zur Abgrenzung zwischen Menschen verwendet werden (Menschen, die in einer oder mehreren Differenzkategorie/n (vermeintlich) von Mitgliedern einer Gruppe abweichen, können als „Andere“ abgegrenzt werden und definieren dadurch gleichzeitig die Gruppe mit). Diese Zuschreibungen und Abgrenzungen finden häufig im Rahmen asymmetrischer Machtverhältnisse statt und haben oft Konsequenzen bezüglich der unterschiedlichen Verteilung von Ressourcen ((->) soziale Ungleichheit), z.B. indem sie zur Legitimierung von Ausbeutung oder Diskriminierung verwendet werden (vgl. Hall 2004; Schwarz 2010 und Wieviorka 2003).

Beispiele für Differenzkategorien bilden Geschlecht/Gender, (->) „Ethnizität“, Alter, Behinderung, (->) sexuelle Orientierung oder religiöse Orientierung (sie können auch als Dimensionen von Diversity/Diversität und (->) Heterogenität in oder zwischen Gruppen aufgefasst werden). Auf sie beziehen sich spezifische Ausgrenzungsideologien und –verhältnisse, wie etwa (->) Sexismus, (->) Rassismus, Ableismus, (->) Homophobie, Antisemitismus oder (->) Altersdiskriminierung. Ein Bestandteil dieser Ideologien kann auch sein, Menschen auf ihre Differenz zu reduzieren (vgl. Hall 2004). Zum Teil wirken diese Kategorien auch in gegenseitiger Beeinflussung ((->) Intersektionalität).

Differenzen sind nicht als fest und überzeitlich geltend aufzufassen, sondern sind auf eine Wiederholung oder Fortsetzung der Handlungen angewiesen, die sie herstellen (vgl. Kerner 2009 und Wieviorka 2003). Nichtsdestotrotz erhalten viele Differenzen im Rahmen dieser Prozesse den Anschein einer Überzeitlichkeit (und ein Interesse daran, dass dieser Anschein beibehalten wird, besteht vor allem, wenn über sie Diskriminierung oder Ungleichheit legitimiert werden soll). Dies gilt im besonderen Maße für Differenzierungen, die sich, wie im Falle des Geschlechts, auf äußerlich erkennbare körperliche Merkmale beziehen (vgl. Kerner 2009) und dementsprechend Sehgewohnheiten stark geprägt haben bzw. prägen („Das sieht man doch“). Die (Alltags-)Wahrnehmung tendiert dazu, sich an der Vermischung der historisch geprägten sozialen Dimension des Geschlechts mit den biologischen Aspekten (Biologismus) zu orientieren.

Der Aspekt der Angewiesenheit auf die Wiederholung verweist auch darauf, dass Differenzen das Handeln der Menschen zwar prägen, aber nicht abschließend bestimmen. Die Umdeutung oder (->) Emanzipation von Differenzen ist möglich und bildet einen zentralen Aspekt zahlreicher sozialer Kämpfe (vgl. Schwarz 2010 und Wieviorka 2003).

Anwendungsbeispiele / Situation in der Sozialen Arbeit

Die Soziale Arbeit steht vor der Herausforderung, oft mit spezifischen Zielgruppen zu arbeiten, z.B. in der Sozialarbeit mit Geflüchteten, der Arbeit mit Mädchen oder Jungen, in Maßnahmen für Jugendliche mit abweichendem Verhalten oder in der Beratung von Alleinerziehenden. Durch diese Spezialisierung werden die Adressatinnen und Adressaten (zunächst) stark auf diese Merkmale reduziert, indem geklärt werden muss, ob sie zur Zielgruppe gehören. Dabei kann es zu einer Reifizierung der Differenz kommen, die diese erst in den Mittelpunkt rückt und sie damit zu einer Tatsache macht. Zudem kann die dauerhafte Beschäftigung der Fachkräfte mit einer spezifischen Zielgruppe dazu führen, dass sich die Sicht auf die Gesellschaft entsprechend verändert und die in der Arbeit auftauchenden Differenzen überhöht wahrgenommen werden.

Die Reflexion der eigenen Arbeit, der eigenen Haltung, Normen und Werte sowie der Austausch mit anderen Fachkräften können dazu beitragen, die Differenzen nicht überzubewerten und statt-
dessen – trotz aller notwendigen Parteilichkeit – auf Heterogenität und Inklusion hinzuwirken.

Literatur

Hall, Stuart (2004): Das Spektakel des „Anderen“. In: Ders.: Ideologie, Identität, Repräsentation. Ausgewählte Schriften 4. Herausgegeben von Juha Koivisto und Andreas Merkens. Hamburg: Argument Verlag, S. 108–166.

Kerner, Ina (2009): Differenzen und Macht. Zur Anatomie von Rassismus und Sexismus. Frankfurt am Main und New York: Campus.

Schwarz, Tobias (2010): Bedrohung, Gastrecht, Integrationspflicht. Differenzkonstruktionen im deutschen Ausweisungsdiskurs. Bielefeld: transcript.

Wieviorka, Michel (2003): Kulturelle Differenzen und kollektive Identitäten. Hamburg: Hamburger Edition.

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