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= komplexes soziales Verhältnis, das mehrere miteinander verbundene Dimensionen umfasst:

a) die von Menschen vorgenommene Zusammenfassung anderer Menschen zu einer (vermeintlich) homogenen Gruppe anhand ausgewählter Merkmale, wie beispielsweise Hautfarbe oder kulturelle Traditionen, gegenüber denen sie sich von den die Gruppenzuordnung vornehmenden Menschen (vermeintlich) unterscheiden (die sich oft auch über diese Zuordnung als eigene Gruppe definieren);

b) die in diesen Prozessen stattfindende Verknüpfung der betonten Unterschiede und Differenzen mit Werturteilen;

c) die darauf aufbauende negative Einstellung von Menschen (die sich zum Teil aktiv der gleichen Gruppe zurechnen, welche die Zuschreibungen und Abwertungen vorgenommen hat) gegenüber der auf diese Weise als minderwertig bezeichneten Menschengruppen und

d) die Diskriminierungs-, Ausgrenzungs- und Gewaltphänomene, die Menschen betreffen (können), die den abgewerteten Gruppen zugeordnet werden. Dabei kann es sich sowohl um Handlungen von staatlicher, anderer institutioneller oder von individueller Seite handeln (vgl. Kerner 2009 und Hund 2007).

Was sich auf diese Weise allgemein als Rassismus beschreiben lässt, nimmt in unterschiedlichen historischen sowie geografischen Kontexten auch sehr unterschiedliche Formen und Ausprägungen an, sodass es möglich ist, im Plural von verschiedenen „Rassismen“ zu sprechen (vgl. Kerner 2009; Scholz 2005 und Hund 2007). Vermeintliches Wissen über rassistisch abgegrenzte Gruppen kann über unterschiedlich lange Zeiträume angesammelt, reproduziert, modifiziert und als Anhaltspunkt für Diskriminierung genutzt werden, ebenso wie es infolge von antirassistischen Kämpfen und Emanzipationsbewegungen zurückgedrängt werden kann (vgl. Kerner 2009). Rassismen in Ländern, die zu ehemaligen Kolonialmächten gehören, verfügen über eine andere Vorgeschichte als Rassismen in Ländern, die nicht zu jenen gehören. Zudem sind beispielsweise in den USA Rassismen durch die Geschichte der Sklaverei anders geprägt als in Deutschland mit seiner Geschichte des nationalsozialistischen Rassenwahns (vgl. Monday 2013 und Scholz 2005; in diesem Rahmen sollte berücksichtigt werden, dass sich Rassismus und Antisemitismus in ihren Bildern, ihrer Struktur und ihren Bezügen auf die moderne Gesellschaft so stark unterscheiden, dass der Antisemitismus nicht unter den Rassismus subsumiert werden sollte; vgl. Monday 2013).

Auch wenn das Wort „Rassismus“ den Verweis auf „Rasse“ beinhaltet, müssen sich Rassismen nicht unbedingt auf die Idee unterschiedlicher „Menschenrassen“ beziehen, die in der Realität auch gar nicht existieren, wie sich auch anhand der genetischen Zusammensetzung der Weltbevölkerung nachweisen lässt. Stattdessen lässt sich die Idee der „Rasse“ als selbst rassistisch geprägt bezeichnen (vgl. Hund 2007).

Auch ohne einen Rassenbegriff besteht eine Gemeinsamkeit vieler rassistischer Argumentationen in der Einordnung der jeweils hervorgehobenen Eigenschaften als „naturgegeben“ (Biologismus) und für jedes Mitglied der entsprechenden Gruppe geltend (vgl. Kerner 2009). Zum Teil wird versucht, nachzuweisen, dass scheinbar fundamentale kulturelle Differenzen sich in körperlichen Aspekten widerspiegeln. In einigen Fällen übernehmen Worte wie „Kultur“ oder „Ethnizität“ eine ähnliche Funktion wie ein abgrenzender Rassenbegriff (vgl. Hund 2007).

Einer der zentralen Hintergründe für die Entstehung und Reproduktion des Rassismus ist die Legitimierung von Herrschaft, Unterdrückung, Ausbeutung oder anderen Formen der Ungleichbehandlung von Menschen (vgl. Scholz 2005 und Hund 2007). Die erwähnte Möglichkeit der Definition einer eigenen Gruppe über die Abgrenzung zu einer als minderwertig eingestuften beinhaltet auch das Angebot einer Gemeinschaftlichkeit, die tendenziell von Klassendifferenzen innerhalb der jeweiligen Gesellschaft ablenken kann und damit auch über eine systemstabilisierende Funktion verfügt (vgl. Hund 2007). Diese Erkenntnis darf jedoch nicht dazu führen, rassistische Handlungen beispielsweise durch Angehörige unterdrückter Klassen zu verharmlosen (vgl. Monday 2013 und Scholz 2005).

In den meisten Fällen wirkt Rassismus nicht „allein“, sondern mit weiteren Ausgrenzungsverhältnissen zusammen (Mehrfachdiskriminierung), die sich auf andere Differenzkategorien, wie z.B. Geschlecht beziehen. Diese Kategorien sind in ihrer wechselseitigen Beeinflussung (Intersektionalität) zu berücksichtigen (vgl. Scholz 2005 und Walgenbach 2012).

Bezüge zur Sozialen Arbeit

Die Soziale Arbeit als „Menschenrechtsprofession“, die gleichzeitig auf Basis des Grundgesetzes und des jeweils geltenden Rechts handelt (Soziale Ungleichheit), hat die Aufgabe, sich für gute Lebensbedingungen aller Menschen, gleich welchen Geschlechts, welcher Ethnie, welchen Alters usw. einzusetzen. Menschenverachtenden Einstellungen, der Ab- bzw. Aufwertung einzelner Gruppen und demokratiefeindlichen Gesinnungen, tritt die Soziale Arbeit daher engagiert entgegen.

„Eine erfolgreiche Strategie Sozialer Arbeit gegen Rechtsextremismus liegt

-          im Ausbau der Gemeinwesenarbeit,

-          dem Ausbau bürgerschaftlichen Engagements durch Verbesserung der Partizipation von Kindern und Jugendlichen und der Bürgerinnen und Bürger im Gemeinwesen unabhängig von Ethnie, Geschlecht, Religionszugehörigkeit und Behinderung,

-          in der Stärkung der Zivilgesellschaft,

-          im Ausbau der wohnortnahen außerschulischen Jugendarbeit, der politischen Jugendbildung und

-          in der internationalen Jugendarbeit.“ (Gilde Soziale Arbeit 2014)

Bei rassistischen, wie auch bei homophoben oder sonstigen menschenfeindlichen Tendenzen gerät auch das Prinzip der parteilichen Sozialen Arbeit an seine Grenzen.

Literatur

Gilde Soziale Arbeit (2014): Bielefelder Erklärung 2014. URL: https://www.uni-marburg.de/fb21/erzwiss/personal/prof/maurer_hp/akt/biele.pdf [21.12.2016].

Hund, Wulf D. (2007): Rassismus. Bielefeld: transcript.

Kerner, Ina (2009): Differenzen und Macht. Zur Anatomie von Rassismus und Sexismus. Frankfurt am Main und New York: Campus.

Monday, Justin (2013): Die doppelte Natur des Rassismus. Über den Mythos der Gesellschaft in der Krise. In: Jungle World Nr. 30, 25. URL: http://jungle-world.com/artikel/2013/30/48176.html [08.11.2016].

Scholz, Roswitha (2005): Differenzen der Krise – Krise der Differenzen. Die neue Gesellschaftskritik im globalen Zeitalter und der Zusammenhang von „Rasse“, Klasse, Geschlecht und postmoderner Individualisierung. Bad Honnef: Horlemann.

Walgenbach, Katharina (2012): Intersektionalität – eine Einführung. URL: http://portal-intersektionalitaet.de/theoriebildung/ueberblickstexte/walgenbach-einfuehrung/ [10.01.2017].

weiterführende Literatur / Literaturempfehlungen

Melter, Claus (2006): Rassismuserfahrungen in der Jugendhilfe: Eine empirische Studie zu Kommunikationspraxen in der Sozialen Arbeit. Münster: Waxmann.

Melter, Claus (Hrsg.) (2015): Diskriminierungs- und rassismuskritische Soziale Arbeit und Bildung: Praktische Herausforderungen, Rahmungen und Reflexionen. Weinheim: Beltz Juventa.

Leuphana Universität Lüneburg / Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik / Projekt "KomPädenZ Potenzial" 2017

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